Als Christoph Schlingensiefs im Mai 1992 gedrehter Film Terror 2000. Intensivstation Deutschland Premiere feierte, waren die Reaktionen milde gesagt kontrovers. Helmut Schödel las Terror 2000 als Prophetie „des deutschen Wahns“ (DIE ZEIT), antifaschistische Gruppen wiederum stürmten die Filmvorführungen und attackierten die Filmrolle mit Säure, da sie ihn als faschistisch empfanden.
Der wahre Faschismus freilich hatte sich im August 1992 in den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen und im Brandanschlag in Mölln im November 1992 gezeigt und sollte in Solingen 1993 die erste Fortsetzung finden, eine Serie, die bis heute nicht abgerissen ist, und die Schlingensief bis zu seinem Tode immer wieder künstlerisch angegangen ist, zu denken sei nur an seine Theaterarbeiten Michael Kühnen ´94. Bring mir den Kopf von Adolf Hitler (1993), Begnadete Nazis (1996), Deutschlandsuche ´99 (1999), Kameradschaftsabend (1999) – oder besonders prominent, seine Hamlet-Inszenierung mit aussteigewilligen Neonazis in Zürich (2001) und im Jahr zuvor seine Wiener Kunstaktion Ausländer raus. Bitte liebt Österreich (2000). Schlingensiefs mit den historischen Avantgarden spielenden ästhetische Strategien zielten dabei weniger auf Wertevermittlung oder Senden moralischer Botschaften, sondern erwiesen sich als Fläche, auf denen die Gesellschaft sich selbst ins unschöne Gesicht blickte. Das heißt, nicht Terror 2000 war faschistisch, sondern offenbar die Gesellschaft, die sich im Film gespiegelt sah.
Angesichts dessen ist es erstaunlich, dass sich Phillip Ruch vom Zentrum für politische Schönheit (ZPS) immer wieder auf Schlingensief bezieht, wenn er nach einer ästhetischen Positionierung seiner Arbeit gefragt wird. Denn die publikumswirksamen und vom Feuilleton gefeierten Aktionen des ZPS sind gewissenhaft geplant, um für die Menschenrechte zu kämpfen. Sprich, das ZPS positioniert sprich sich selbst im gesellschaftlichen Konsens und reproduziert diesen aktionistisch, erfasst damit aber selten ein gesellschaftliches Panorama.
Das Risiko, das Schlingensief zum Beispiel mit den Kameradschaftsabenden einging, in denen er sowohl linke als auch rechte Stimmen im medialen Dispositiv einer Theater-Talkshow eine „Bühne gegeben“ hatte, ist den orchestrierten Aktionen vom ZPS fremd. Dabei wäre zu fragen, ob der Kontrollverlust, den Schlingensief zuließ und der erst die Spiegelfläche überhaupt generierte, in der heute zunehmend enthemmten Öffentlichkeit überhaupt noch ein sinnvolles Instrument wäre. Andererseits ist die Frage, ob einer sich fast ausschließlich im Symbolischen formierenden und verständigenden Gesellschaft wie der heutigen, wirklich gedient ist mit weiteren ästhetisch genussvoll zu konsumierenden Symbolen, wie sie das ZPS hervorbringt.
Der hier skizzierte Beitrag will einen Vergleich der ästhetischen Strategien Schlingensiefs – das unschöne Gesicht der Gesellschaft zeigend – und des ZPS – für die Schönheit der Politik und der Menschenrechte kämpfend – durchführen, dabei jedoch auch die je zeitgenössischen gesellschaftspolitischen Diskurse berücksichtigen, die so unterschiedliche künstlerische (Re-)Aktionen generierten. Denn auch ästhetische Strategien sind immer historisch bedingt, so dass Schlingensiefs Strategien ebensowenig 1:1 ins heute zu übertragen wären, wie das ZPS in die neunziger Jahre. Ein so kontextualisierter Vergleich erlaubt jedoch eine Verschiebung des Blickes auf beide Phänomene, zwischen denen sich vielleicht neue künstlerische Spielräume eröffnen. Der Beitrag sucht in diesem Dazwischen also nach Formen einer Kunst im Dialog, einem unausschließenden Gespräch untereinander, das utopisches Denken wieder zulässt.

Keywords

  • Schlingensief, ZPS, politische Kunst, Avantgarde, Anti-Ästhetik, Hamlet, Sophie Scholl, 2099, Deutschland, Rechtspopulismus, AfD
Translated title of the contributionPrelude and postlude: aesthetics against fascism. : A comparison between Christoph Schlingensief‘s (anti-) aesthetics and the Center for Political Beauty
Original languageGerman
Title of host publicationKunstszene gegen rechte Szene
Subtitle of host publicationCultural Responses to the Far-Right in Contemporary Germany
PublisherBrill Academic Publishers
Publication statusAccepted/In press - 18 Jun 2023
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